Es war einmal im Nirgendwo
In der Sowjetunion waren wir die Deutschen, in Deutschland sind wir die Russen. Diese Worte einer Großmutter haben sich in Nikita Millers Gedächtnis eingebrannt wie ein sowjetischer Stempel in einen Deportationsbefehl. Seine Oma würde heute noch schwören, dass man mit einem Gläschen Vodka mit Pfeffer alle Probleme lösen kann, vom Schnupfen bis zur Identitätskrise. Aber ganz so einfach ist es dann doch nicht.
Als Nikita in den 90ern vom Gymnasium flog, weil er angeblich „zu russisch“ für Schiller war, ahnte er noch nicht, daß genau diese Zerrissenheit zwischen den Kulturen einmal sein größter Schatz werden würde. Zwischen deutschen Butterbroten und russischen Pierogi, zwischen Realschulhof und den Geschichten seiner nach Kasachstan deportierten Oma, fand er seinen ganz eigenen Weg.
Heute, während die Welt wieder einmal Kopf steht, gräbt Miller tief in seiner Familiengeschichte und findet erstaunliche Parallelen zur Gegenwart. Er möchte wissen: Was macht uns eigentlich zu dem, was wir sind? Die Gene unserer Vorfahren? Der Ort, an dem unser Personalausweis ausgestellt wurde? Oder vielleicht doch die Tatsache, dass wir als Einzige in der Klasse wussten, wie man „Dostojewski“ richtig ausspricht?
Mit der Präzision eines deutschen Uhrmachermeisters und der Seele eines russischen Poeten nimmt Miller sein Publikum mit auf eine Reise durch Zeiten und Kulturen. Denn am Ende ist es wie mit einem guten Borschtsch, erst die Mischung macht’s interessant. Und manchmal braucht es eben eine Identitätskrise, um herauszufinden, wer man wirklich ist.
Schuld und Bühne
Jeder Mensch verarbeitet sein Leben anders: Die einen gehen in die Kirche, die anderen ins Yoga-Retreat – Nikita Miller hat sich für den klassischen Zyklus entschieden: Schuld, Gewissen, Leid, Erlösung … und am Ende eben nicht Sühne, sondern Bühne.
Schuld. Gibt’s in jeder Familie. Aber während andere ein bisschen schlechtes Gewissen kriegen, weil sie die WhatsApp von der Oma ignoriert haben, hat Nikita gleich das Komplettpaket gewonnen. Danke, Papa.
Gewissen. Dieses Arschloch, das immer dann klingelt, wenn man schlafen will. Oder beim Therapeuten, wenn man denkt: „Alter, ich zahl hier 120 Euro die Stunde, und du fragst mich nach meiner Kindheit?“
Leid. Ja, er hat seine Mutter beerdigt, seinen Vater gehasst und sich trotzdem irgendwie durchs Leben geprügelt. Klingt traurig? Ist es auch. Aber irgendwann muss man sich entscheiden: heulen oder drüber lachen. Und Nikita lacht – laut.
Erlösung. Gibt’s nicht wirklich. Aber Mikrofon, Publikum und ehrliche Lacher kommen verdammt nah dran.
Sühne Bühne. Nix mit vergeben und vergessen. Hier wird erzählt, schonungslos, böse, befreiend komisch. Nikita Miller serviert seine Lebensgeschichte nicht als Trauerspiel, sondern als Comedy – und ja, ihr dürft dabei lachen. Laut.
Natural Born Miller
Was, wenn du gar nicht du bist, sondern nur die Summe aus Eltern, Lehrern, Religion, Instagram-Zitaten und einem schlecht gelaunten Algorithmus? Willkommen bei Nikita Miller – dem einzigen Menschen, der versucht, seine Existenz zu verstehen, während ihm das Publikum beim Scheitern zuschaut.
Er stellt Fragen, bei denen die meisten schon beim dritten Wort Migräne kriegen: Was ist Realität? Wer hat uns erschaffen? Leben wir in einer Simulation oder einfach nur in Wuppertal? Und wenn der Urknall wirklich alles erklärt – warum klingt er dann wie eine Ausrede?
Zwischen Allmachtsfantasien und Kindheitstraumata geht Nikita auf eine Reise durch den Teil des Gehirns, den man eigentlich für Albträume reserviert. Er fragt, ob Gott vielleicht einfach nur ein Platzhalter für die Einsamkeit ist. Ob Glaube auch funktioniert, wenn man der Einzige ist, der noch daran glaubt. Und ob man wirklich noch „frei“ ist, wenn das Navigationssystem im Auto mehr über dich weiß als deine eigene Mutter.
„Natural Born Miller“ ist keine Therapie, kein Ted Talk, kein spirituelles Erwachen. Es ist eine Comedyshow über alles, worüber man nicht nachdenken sollte, wenn man am nächsten Tag wieder funktionieren will.